Anschlag:Die Spur des Selbstmordattentäters von Ansbach

Bombenanschlag in Ansbach

Dokument des Grauens: Der Rucksack von Mohammad D. liegt auf dem Boden. Kurz zuvor war am vergangenen Sonntag der Sprengsatz des 27-Jährigen in Ansbach explodiert

(Foto: dpa)

Dokumente und Zeugen geben Einblicke in das Leben von Mohammad D. Sie zeichnen das Bild eines labilen Menschen und werfen die Frage auf: Gab ihm ein Hintermann den Befehl zur Tat?

Von Dietrich Mittler, Uwe Ritzer und Lisa Schnell

"Ich fürchte mich vor dem Tod und vor Demütigung", schrieb Mohammad D. in den Fragebogen, den ihm ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im August 2014 vorgelegt hatte. Mit sorgfältig gesetzten Schriftzeichen beantwortet der Flüchtling aus Syrien auf Hocharabisch - ein Indiz für eine gehobene Schulbildung - etwa auch auf die Frage: "Was befürchten Sie bei der Rückkehr nach Syrien?"

Mohammad D., ein schlanker Mann mit langem schwarzen Haar und eher weichen Gesichtszügen, antwortete: "Ich will keine Waffen gegen Menschen tragen. Ich habe Angst vor einer Rückkehr nach Syrien, weil ich zu einem Mörder werden könnte." Denn in seiner Heimat müsse man sich entweder den Regierungstruppen oder den Verbänden von al-Qaida oder anderen bewaffneten Gruppen anschließen.

Nichts in diesen Zeilen ließ darauf schließen, dass eben dieser Mann zum Selbstmordattentäter werden könnte. Vergangenen Sonntag jedoch wollte er im mittelfränkischen Ansbach mit einer heimtückisch konstruierten Splitterbombe möglichst viele Menschen mit in den Tod reißen - in einen schrecklichen Tod, den er doch angeblich selbst so sehr fürchtete. Weil er aber mangels Eintrittskarte nicht wie geplant zum Abschlusskonzert des Festivals "Ansbach Open" vordringen konnte, zündete Mohammad D. seinen mit scharfen Metallteilen versehenen Sprengsatz vor einem Lokal. Die Bilanz: Der 27-jährige Täter ist tot, 15 Menschen wurden verletzt, drei von ihnen schwer. In einem Video hatte sich der junge Syrer zur Terrororganisation IS bekannt. Eine ihr nahe stehende Zeitschrift behauptet nun, Mohammad D. habe eine lange dschihadistische Vergangenheit gehabt und sich "sehr früh" dschihadistischen Bewegungen angenähert. Deutsche Sicherheitskreise wollen das nicht kommentieren. Mohammad D. ist nach wie vor ein Rätsel. Hier die ersten Ergebnisse einer Spurensuche.

Kriegserlebnisse in Syrien

Auch wenn es im Nachhinein schwierig ist festzustellen, was an den Angaben von Mohammad D. richtig ist und was erfunden, so gehen seine früheren Betreuer davon aus, dass der Täter von Ansbach in seiner Heimat traumatisiert wurde. "Die Regierung tötet und al-Qaida enthauptet", hat er auf dem Fragebogen des Bamf vermerkt.

Für letztere Bluttat sei ein Kämpfer der al-Qaida verantwortlich gewesen, den Mohammad D. auch namentlich nannte. "Sie haben vor meinen Augen eine Person enthauptet, und sie haben sein Geld und sein Auto genommen", schreibt er. Seine Partnerin und sein Kind seien bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Er selbst habe dabei in seiner Heimatstadt, dem hart umkämpften Aleppo, schwere Splitter-Verletzungen davongetragen.

Mohammad D., so glaubt sein Lindauer Therapeut Axel von Maltitz, sei auch "schwerst gefoltert" worden. "Das sind Erlebnisse, die kann man sich gar nicht vorstellen", sagte der psychotherapeutisch tätige Heilpraktiker der Süddeutschen Zeitung.

40 Sitzungen zur Therapie einer posttraumatischen Belastungsstörung habe er mit Mohammad D. absolviert. "Der hat so viele Tote gesehen, das kann man sich gar nicht vorstellen. In den Folterkellern wird Säure über die Leute gekippt, denen brennt es das halbe Gesicht weg, bis die endlich tot sind. Solche Dinge hat der erlebt", sagt Maltitz, der im Lindauer Therapiezentrum der Organisation Exilio tätig ist. Aber gibt dies wirklich eine Antwort darauf, warum ein Mensch mit solchen Erlebnissen plötzlich andere mit in die Luft sprengen will? Gisela von Maltitz, die Geschäftsführerin von Exilio, sagt: "Was Mohammad D. da als Bekenntnis zum IS wiedergibt, klingt für mich schon sehr auswendig gelernt. Diese Sätze passen einfach nicht auf ihn." Die Ereignisse von Ansbach lassen an dieser Einschätzung allerdings Zweifel zu.

Zwischenfall in Serbien

Mohammad D. hat dem Lindauer Therapeuten Schritt für Schritt sein ganzes Leben erzählt. Angeblich ist er demnach bei seiner Flucht am 16. Juli 2013 "über die türkische Grenze nach Bulgarien" gelangt. In Serbien sei die Flucht jäh gestoppt worden: Polizisten hielten das Fahrzeug an, in dem Mohammad D. mitfuhr. "Sie telefonierten mit den bulgarischen Grenzpolizisten und sagten ihnen, sie sollen uns abholen, denn wir bewegten uns illegal", hielt Axel von Maltitz fest. Aber ist das auch die Wahrheit?

Schläge in Bulgarien und ein mysteriöser Geldgeber

Das Trauma Bulgarien

Fakt ist, dass Mohammad D. zunächst in Bulgarien blieb. "Fieberfrei, wach, beredet, orientiert", notierte ein Arzt über D., als der ihm da am 9. Oktober 2013 in einer Praxis in der bulgarischen Hauptstadt Sofia gegenübersaß. Der Patient klagte über ein Trauma, das er sechs Monate zuvor in Syrien erlebt habe. In seiner unmittelbaren Nähe sei damals eine Bombe explodiert, Splitter hätten seine Beine getroffen. Offene Wunden fand der Arzt nicht, doch er ließ die Knie des Patienten röntgen. Dabei wurden "in beiden Kniegelenken röntgenpositive, metallische Fremdkörper festgestellt", wie der Arzt im Attest notierte, das der SZ vorliegt. Es stammt vom 1. November 2013. Mohammad D. selber schilderte später, was dann angeblich geschah. Er habe sich geweigert, seine Fingerabdrücke zu geben. Daraufhin sei er zwei Tage in ein bulgarisches Gefängnis gesteckt und dort mit Gummiknüppeln geschlagen worden - genau auf den Arm, der ihn seit dem angeblichen Angriff auf sein Haus in Aleppo schmerzte.

Zwei Monate hätten ihn die Bulgaren in einer Einzelzelle festgehalten. Er habe um medizinische Hilfe gebeten, die aber sei ihm verweigert worden. Schließlich sei er von der Einzelhaft und der Gewalt der Gefängniswärter so zermürbt gewesen, dass er doch die Fingerabdrücke gegeben habe. Daraufhin sei er am 18. September 2013 freigelassen worden.

Von da an hätten sich die bulgarischen Stellen nicht mehr um ihn gekümmert: "Gegenüber dem Flüchtlingscamp war ein offenes Feld, und dort schlief ich mit vielen anderen Leuten, die keine Unterkunft hatten", gab Mohammad D. an. Dass dies stimmt, darauf deuten zwei Filmberichte im bulgarischen Fernsehen hin, in denen D. und ein anderer Flüchtling in einem desolaten Umfeld gezeigt und interviewt wurden. Mehrfach sollen Krankenhäuser ihm die Behandlung verweigert haben, trotz Überweisung des Arztes in Sofia.

Erster Kontakt mit dem IS?

In der syrischen Botschaft habe man ihm ein Schreiben überreicht, gab Mohammad D. einmal an. Darin habe gestanden, dass seine Eltern gefangen gehalten würden, bis er wieder nach Syrien zurückkehre. Eine offizielle Rückreise sei nicht infrage gekommen, "denn sie hätten mich mit Sicherheit bis zum Tode gefoltert".

Nun allerdings habe ihn auch sein Vater nicht mehr mit Geld unterstützen können, gab D. später an. In dieser verzweifelten Situation ist dann etwas geschehen, was im Nachhinein aufhorchen lässt: "Also wollte ich es doch riskieren und weiter nach Deutschland gelangen. Zu meinem Glück fand ich einen Syrer, der mir einen Flug nach Österreich spendierte", gab Mohammad D. gegenüber von Maltitz an. Handelte der angebliche Spender aus reiner Menschenliebe? Oder nutzte hier der IS bewusst eine Notlage? Dies ist nur eine von vielen offenen Fragen, die sich deutsche Ermittler nach der Bluttat von Ansbach nun stellen.

Asylantrag in Deutschland

"Der Täter von Ansbach hatte am 21. August 2014 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt", teilt das Bamf mit. Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung habe sich herausgestellt, "dass der Antragsteller bereits in Bulgarien und Österreich registriert worden war".

Daraufhin habe man Kontakt zu den bulgarischen Behörden aufgenommen, und der Asylantrag von Mohammad D. wurde als unzulässig abgelehnt, da der junge Syrer schon in einem anderen EU-Land eine sogenannte Schutzgewährung erhalten habe und deshalb auch "keine drohende Abschiebung in sein Heimat befürchten" müsse.

Blutig geritzte Arme, zerschlagenes Waschbecken

Dramatische Zuspitzung

Die drohende Abschiebung nach Bulgarien hat in Mohammad D. offenkundig schwer beunruhigt. "Ich habe große Angst davor, wieder nach Bulgarien zu müssen, weil ich dort wieder ins Gefängnis gebracht werde", gab er gegenüber den deutschen Behörden an. Auch andere Flüchtlinge aus Syrien hatten, wie etwa aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 9. Dezember 2015 ersichtlich ist, solche Ängste. Mohammad D. - inzwischen in einer Ansbacher Asylunterkunft - rastete regelrecht aus. "Arme blutig geritzt. Ein Waschbecken wurde von ihm zerschlagen. Heimbewohner riefen die Ambulanz. Herr D. kam für zehn Tage in die Psychiatrie", heißt es in den stichwortartigen Notizen, die bei Exilio angefertigt wurden. Nach der Entlassung aus dem Bezirksklinikum Ansbach habe sich Mohammad D. dann zum Ausländeramt begeben, wo er eine sogenannte Grenzübertrittsbescheinigung zur Ausreise nach Bulgarien bekommen habe. "Klient regierte bezüglich der Überstellung nach Bulgarien mit der Ankündigung, sich vor Bundesamt Zirndorf mit Benzin zu übergießen und sich anzuzünden", heißt es weiter in den Notizen. Mohammad D. wurde erneut in die Psychiatrie eingewiesen - dieses Mal gleich für fünf Monate. Das Bezirksklinikum Ansbach bestätigt, Mohammad D. behandelt zu haben, mehr nicht. Nach SZ-Informationen bescheinigte ein Facharzt Anfang Januar 2015 einen Zustand schwerer Depression und anhaltende Selbstmordgefahr.

Vermeintliche Entspannung

Mitbewohner in der Ansbacher Asylunterkunft schildern D. als heiteren und aufgeräumten Mann. Wie Axel von Maltitz gegenüber erklärte, habe Mohammad D. seit Mai 2015 Sitzungen bei ihm gehabt. Dann sei "die Finanzierung erst einmal ausgelaufen", wie seine Frau sagt. Eine neue Therapie habe beantragt werden müssen, die am 1. August beginnen sollte. Gisela von Maltitz glaubt: "Das letzte halbe Jahr, in dem er auf die Verlängerung gewartet hat, da muss irgendetwas passiert sein."

Das große Rätseln nach der Tat

Hätten die Exilio-Leute etwas ahnen können? "Ein extremer Geist, und es ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er selbst seinen Selbstmord noch spektakulär in Szene setzt", zitiert Bild aus den Lindauer Unterlagen. Das hat sich auf das Dramatischste bewahrheitet. Auf einem Handy von Mohammad D. fanden die Ermittler nach dem Anschlag einen verdächtigen "intensiven Chat", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Dem lasse sich entnehmen, dass "ein anderer Mensch maßgeblichen Einfluss auf den Täter gehabt hat", sagte Minister Herrmann. Mit wem D. sich intensiv ausgetauscht hat und wie lange, ob Monate oder Wochen davor, werde noch ermittelt.

Sicher sei, dass der Chat "unmittelbar vor dem Attentat" endete.

Viele Fragen sind noch offen. Wie konnte er in seinem Einzelzimmer unbemerkt eine Bombe bauen? Woher stammt das gerollte Bündel mit den 50-Euro-Scheinen, das in seinem Zimmer gefunden wurde? Der Fall des Terroristen Mohammad D. - er ist längst noch nicht aufgeklärt.

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